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Gedankensplitter

Dem eigenen Kompass trauen

Wenn Ihnen ein Thema, eine Frage, ein Anliegen sehr wichtig ist, an wen wenden Sie sich, um Hilfe zu bekommen? – Ich denke, zunächst an Menschen, die Ihnen nahestehen, die wie Sie selbst ticken und denen Sie nicht alles klein in klein erklären müssen, bei denen Sie auch noch suchen und fragen dürfen, selbst die Frage noch nicht ganz klar haben müssen, bei denen sich im Austausch manches klären kann und sich vielleicht auch die Frage oder das Thema verflüchtigt, weil Sie es selbst noch nicht zu fassen vermögen, es noch nicht reif ist. Kommen Sie mit diesen Menschen noch nicht zum Ziel, ist die Unruhe oder die Frage in Ihnen aber noch lebendig, werden Sie sicher nach solchen Ausschau halten, denen Sie von Berufs wegen oder wegen deren Rolle oder Status Sachverstand zutrauen. Wenn die dann nicht weiterwissen, wer denn dann?

Matthäus berichtet von welchen, die kundig sind, Sterndeuter nennt er sie. Luther spricht von Weisen, Menschen, die nicht nur viel wissen, sondern dieses Wissen auch einzuordnen vermögen. Sie werden viel erlebt und es mit viel Geduld und Sorgfalt zu einem Bild zusammengefügt haben. Man denke nur daran, dass zu ihren Zeiten ein Mensch sich noch alles verfügbare Wissen zu eigen machen konnte. Von Osten kommen sie, nicht nur von dort, wo die Sonne aufgeht, sondern auch von dort, wo Orientalen die Wiege aller großen Kulturen erblicken, sie sind also nicht irgendwer. Diese Universalgelehrten merken aber wohl auch, dass es noch mehr gibt als ihnen zugänglich ist. Sterne stehen für diese Wirklichkeit. Obschon so fern und unbegreiflich, folgen sie doch einer geheimen Ordnung. Jahreszeitlich kommen und gehen sie, Seeleute können sich an ihren Bildern orientieren. Wachstum und Reife scheinen sie zu beeinflussen, Ebbe und Flut. Wen wunderts, dass auch bedeutende Ereignisse in der Geschichte eines Volkes oder einer Kultur von ihnen abhängen.

Ein Stern, wir würden heute sagen ein Komet, zieht sie in seinen Bann. Bisher war er ihnen nicht aufgefallen. Offensichtlich ist er neu. Was soll das bedeuten? Auch ihr Konsilium, ihr Köpfe Zusammenstecken, bleibt ohne überzeugende Antwort. – Was also tun? Dem Stern folgen, soweit das geht. Das Bisherige verlassen und dem Unbekannten auf der Spur sein. Wir wissen nicht, wie lang sie schon unterwegs sind, allein dass sie in Jerusalem auf welche stoßen, die auch kundig sind. Die einen beherrschen die Staatskunst, andere die Schriftkunde. Und deren Expertise: In Betlehem könnte was sein. Bei Micha, einem der Propheten, findet sich ein Hinweis. Und der Rat der anderen: Schaut mal nach und wenn ihr was findet, berichtet uns. Will sagen: Festlegen wollen wir uns nicht. Lieber mal auf Nummer sicher gehen.

Ich stocke, grad so als sei mir der Stern abhandengekommen – oder grad im Gegenteil, dass er wieder zu leuchten beginnt. Es gibt Fragen und Themen, die sich durch kein fremdes Wissen beantworten lassen, die keine Expertise hinreichend ergründen kann. Manche Fragen gründen so tief in mir selbst, dass auch ihre Antworten aus der Tiefe meiner Seele oder meines Herzens kommen müssen. Ein Arzt kann diagnostizieren, Behandlungen anleiten, Medikamente verschreiben; ein Therapeut allenfalls mitgehen, zuhören, ermutigen und unterstützen, in mir selbst nach Antworten zu suchen und ihnen zu trauen. Wer weise ist, wird sich darum mit seinem Wissen niemandem in den Weg stellen, allenfalls Orientierung geben. Die Sterndeuter jedenfalls gewahren, dass sie nur weiterkommen, wenn sie sich nicht auf fremdes Wissen verlassen, sondern ihrem inneren Kompass folgen.

Zwischenbemerkung. Könnte es sein, dass einem die Orientierung verloren geht, wenn man sich zu sehr blenden lässt? Könnte es sein, dass vieles, was uns über Medien von Politik, Wirtschaft und Werbung mehr den Blick verstellt als erhellt? Die Diskussionen, die derzeit allenthalben geführt werden, vermitteln bei mir jedenfalls oft genug den Eindruck, dass die Reden zwar vordergründig über Corona und dessen Bekämpfung gehen, es aber schon längst darum gehen, selbst wahrgenommen zu werden, selbst als bedeutsam zu erscheinen, für das Wahljahr 2021 mindestens schon erste Vorkehrungen zu treffen. Und auch die mehr als berechtigten Sorgen manchen Branchen, selbst keine wirtschaftliche Zukunft mehr zu sehen, verkennen mit dem geführten Argument, doch selbst alles richtig gemacht zu haben und für keine Infektionen verantwortlich zu sein, dass ihr Verbot keineswegs als Strafe gemeint ist, sondern allein dem übergeordneten Ziel dient, Kontakten von Menschen großflächig einzuschränken. Und auch jenseits der Corona-Krise. Werbung will Nachfrage wecken und suggeriert darum Bedürfnisse. Werbung malt darum verlockende Bilder, mitunter Scheinwelten. Und zur Absicherung der eigenen Versprechungen gibt es dann das Kleingedruckte.

Die Erkenntnis der Sterndeuter ist – wie gesagt: Mit fremden Versprechungen, mit fremdem Wissen, mit fremden Verheißungen kommen wir nicht weiter. Wir müssen alles das sorgfältig aufnehmen und wägen, es durch die Siebe und Filter unserer Erfahrungen, unseres Wissens, unserer Intuitionen lassen, um so zu eigenen Erkenntnissen zu gelangen. Wir müssen das nicht nur, sondern wir dürfen das, weil wir unserem eigenen Kompass trauen können, weil der schon oft ganz gut funktioniert hat. Insofern hat Herodes schon recht mit seinem Rat: „Geht und forscht sorgfältig nach dem Kind.“ Indes nicht mit seiner Aufforderung: „… und wenn ihr es gefunden habt, berichtet mir, damit auch ich hingehe und ihm huldige!“ (Mt 2,8) Wichtige Erkenntnisse müssen vor Missbrauch und vor falschen Folgerungen geschützt werden, sonst könnten sie Schaden nehmen.

Spannender und entscheidender ist für mich, dass der Stern, ihr innerer Kompass, die Weisen nach dieser Vergewisserung vom Großen zum Kleinen, vom Sternenbild zum Menschenkind führt. Das Universum mit seinen ungezählten Galaxien, Sternen und Planeten wird mit dem Mikrokosmos von Molekülen und Verbindungen, Atomen und sonstigen Elementarteilchen zusammengebracht. Beides ist staunenswert und lässt Innehalten. Beides zeugt von einer Harmonie, deren Ordnung uns oft entgeht. Beides weitet den Geist und kalibriert ihn für die Orientierung in der Zwischenwelt, in der wir leben.

Noch sind wir im Bereich der Erkenntnis und des Geistes, noch sind wir nicht in der Tiefe der Seele, des eigenen Herzens. Was wird ihnen ansichtig? Ein Stall, wahrscheinlich klein und zugig, Spinnweben, Heu und Stroh, einzelne Tiere und deren Dung. Darin Mann und Frau, ein Kind. Augenscheinlich nichts Großes. Kein Königssohn. Keine leeren Versprechungen, keine Folianten und Traktate, keine glänzenden Fassaden. Aber etwas, was sie anrührt, ihr Herz erwärmt. Für den, der tiefer schaut, ist es das Leben, das durchbricht, sich nicht hindern lässt, Ja sagt, obwohl alles Nein schreit. Im Angesicht des Kindes wird das offenbar. Wen wunderts, dass sie niederfallen und huldigen.

 

Der Kompass:

Die Krippe, Maria und Josef – das Gehäuse

und drinnen, in der Mitte, geschützt vor Schaden die Nadel – das Kind.

Ja sagen zu Leben – damit die Fragen nicht verstummen.

Ja sagen zur Liebe – damit das Sehnen Nahrung findet.

Ja sagen zum ganz Anderen – damit die Nadel eine Richtung weist.

 

Weihnachten – den Kompass pflegen,

seinem Wesen nach intim,

von unseren großen Feiern und Traditionen oft überdeckt.

In jedem Fall

Geburt des Erlösers,

anrührend, zärtlich.

So wertvoll, es im Kreis der Lieben zu feiern,

und es zu schützen

wie das Gehäuse die Nadel.

 

Ihr

Gerhard Pieper

Dem eigenen Kompass trauen.pdf

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Pfarrer Gerhard Pieper