Anders-Briefe

Andersbrief Nr. 27

V. Groß Andersbrief Nr. 27

Liebe Christinnen, liebe Christen,

in den vier Wochen der geistlichen Übungen, die der Andersbrief begleiten möchte, sind wir nun in der Mitte angekommen. Das ist ein guter Moment, um kurz innezuhalten: Passt alles so? Mache ich mir zu viel Druck? Oder möchte (kann) ich mir ein wenig mehr Zeit gönnen für mich und meine Beziehung zu Gott?

Das heutige Evangelium gehört zu einem der schwierigsten und „ungeliebtesten“ Abschnitte des Neuen Testamentes. Oder wann haben Sie zuletzt den Text von der Tempelreinigung gelesen, bedacht, meditiert?

Ein durch die Tempelanlagen wütender Jesus passt oft nicht in das Bild eines geduldigen, liebenden, mehr mit Worten als mit Taten ermahnenden Gottessohnes, das viele in sich tragen. Umso wichtiger kann es sein, sich mit genau diesem Text zu befassen. Wir haben die Chance, weitere Seiten Jesu zu entdecken und damit auch weitere Seiten unserer Beziehung zu ihm.

Und vielleicht sind es gerade solche Texte, die ich persönlich (oder Sie persönlich – jeder für sich) als sperrig empfinde, die uns am ehesten bereichern können … Weil sie etwas UIngeahntes, Unbequemes, Neues hervorbringen können.

In diesem Sinn wünsche ich Ihnen und uns eine gute Woche,

Veronika Groß

 

Pastoralverbund Warburg, Kalandstraße 8, 34414 Warburg – Anders-Brief Nr. 27, 07. März 2021
v.i.S.d.P.: Gerhard Pieper, Pfarrer – Redaktion: Veronika Groß
Tel. 05641 744 333 0 – pv-warburg@erzbistum-paderborn.de / inhaltlich: gross-kirche-warburg@t-online.de

Bibeltexte vom Sonntag:

Ex 20, 1-17                                      1 Kor 22-25                                     Joh 2, 13-25

 

1.: Das Paschafest der Juden war nahe und Jesus zog nach Jerusalem (zum Tempel) hinauf.
                                                                                                                                                         
(Joh 2, 13)

Der Tempel war das Heiligtum der Juden – das Zentrum der Frömmigkeit, der Ort, um Gott zu begegnen.

  • Habe ich einen solchen „Tempel-Ort“ in meinem Alltag?
  • Welche „Tempel-Orte“ habe ich in meinem Leben schon aufgesucht?
  • Welche Orte/Gelegenheiten könnten für mich vielleicht „Tempel-Orte“ werden?

 

2.: Im Tempel fand er die Verkäufer von Rindern, Schafen und Tauben und die Geldwechsler, die dort saßen. Er machte eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle aus dem Tempel hinaus                                                                                                                                                     (Joh 2,14f)

Was Jesus an dem ihm so wichtigen Ort der Gottesbegegnung sieht: einen Ort des Handels, der Unruhe, des Feilschens.

  • Wo bin ich schon einmal in dieser Weise enttäuscht worden?
  • Kann ich meine Enttäuschungen Gott hinhalten?
  • Was möchte ich jetzt zu Jesus, der sich im Tempel aufhält, sagen?

 

3.: Seine Jünger erinnerten sich, dass geschrieben steht: Der Eifer für dein Haus wird mich verzehren.                                                                                                                                       (Joh 2, 17)

Eifer, Leidenschaft – für den Tempel, für das Haus Gottes, das zeigt Jesus hier.

  • Welchen Eifer, welche Leidenschaften habe ich in meinem Leben?
  • Ist es mir schon einmal gelungen, Wut, Enttäuschung oder Ärger in positive Energie zu überführen?
  • Kann ich beides – die Leidenschaften aber auch den Ärger – Gott hinhalten?

4: … Er aber meinte den Tempel seines Leibes.                                        (Joh 2, 21; vgl. Joh 2, 18-22)

Im längeren Text fordern die Juden ein Zeichen, daraufhin spricht Jesus von seiner Auferstehung – während die Juden an den Bau des Tempelgebäudes denken.

  • Wie geht es mir meinem Körper?
  • Mein Leib als Ort meiner Gottesbegegnung. Was löst das in mir aus?
  • Konnte ich schon einmal so etwas wie eine Auferstehung erleben – das Aufstehen nach einem tiefen Fall; das Neuanfangen nach einem wirklichen Scheitern; das Wachsen eines zarten Pflänzchen, nachdem lange nur Tod zu sehen war (im wörtlichen wie auch im übertragenen Sinn …)?

 

5.: Während er zum Paschafest in Jerusalem war, kamen viele zum Glauben an seinen Namen, da sie die Zeichen sahen, die er tat.                                                         (Joh 2, 23)

Auch diese Szene hat Menschen zum Glauben an Jesus bewegt.

  • Was hat mich zu meinem Glauben bewegt?
  • Jesus als jemand, der auch mal wütend, enttäuscht und ärgerlich war – was sagt er wohl zu mir? „Auch Du darfst …“ ?
  • Gleichzeitig mit meinem Glauben gibt es ja auch Unglauben in mir. Beides halte ich Gott hin.

 

Für einen Austausch:

Wie geht es mir ganz grundsätzlich mit meinem Weg? Kann ich ihn so gestalten, wie ich mir das vorgenommen habe? Wenn nicht – sollte ich an meiner Vorstellung etwas ändern oder tatsächlich an der Durchführung?

Wie geht es mir mit den Impulsen?

Was ist mir in dieser Woche besonders hängen geblieben? (Auch, wenn es nichts mit den Impulsen zu tun haben sollte …)

Welche Fragen sind aufgetaucht? Können Sie diese gemeinsam beantworten – weiter mit der Frage leben – oder jemanden fragen?

 

Gebet der liebenden Aufmerksamkeit

Das Gebet der liebenden Aufmerksamkeit ist ein Gebet, das hilft, die Spuren Gottes im eigenen Leben besser zu entdecken und das eigene Leben aufmerksamer mit und vor Gott zu leben. Es dauert ca. 10 bis 15 Minuten.

Dieses Gebet geht auf den hl. Ignatius von Loyola zurück. Für ihn war das sogenannte „Examen“ die „wichtigste Viertelstunde“ des Tages. Er ließ sie nie ausfallen.

Wenn man dieses Gebet regelmäßig pflegt, verhilft es einem, das eigene Leben wahrhaftig und ehrlich anzuschauen und es so vor Gott da sein zu lassen, wie es war – ohne es zu bewerten, zu verurteilen oder zu verdrängen oder zu beschönigen, und es mit dem Blick zu sehen, mit dem Gott auf mich schaut: mit Liebe und Erbarmen.

Während dieser Viertelstunde kann ich dem Raum geben, was während des Alltags nur wenig Beachtung gefunden hat: meinen Stimmungen, Regungen und Gefühlen. Ich kann sie noch einmal „verspüren und verkosten“ – wie Ignatius sagen würde.

Besonders der Abend ist eine gute Zeit, um den Tag vor Gott ausklingen zu lassen und ihn in seine Hände zurück zu legen. Indem ich das ausdrücklich in dem Bewusstsein der Gegenwart Gottes tue und meinen Tag mit seinen schönen und schweren Momenten, lichten und dunklen Zeiten vor Gott da sein lasse, kann ich mehr und mehr wahrnehmen, wie der Tag auf Gott hin transparent wird und in seinem Licht gewandelt wird.

Die folgenden Schritte können helfen, mit dieser Gebetsweise vertraut zu werden:

Mich einfinden und bereiten

Ich finde mich an meinem Gebetsplatz ein und nehme die Haltung ein, die mir hilft, ganz da zu sein. Ich versuche wahrzunehmen, wie es mir jetzt geht, still zu werden und mich mit dem, was mich bewegt, in die Gegenwart Gottes zu stellen, der liebevoll auf mich schaut. Ich habe jetzt Zeit – für mich – für Gott.

Gebet um einen ehrlichen Blick

Ich bitte Gott um die Freiheit und das Licht, den Tag so, wie er war, anschauen zu dürfen, mit dem Blick wie Gott ihn sieht – barmherzig, verständnisvoll und wahrhaftig.

Den Tag durchgehen 

Mit „liebender Aufmerksamkeit“ wende ich mich nun dem zu, was heute war: den Menschen, Ereignissen, Tätigkeiten, Orten … Ich kann den Tag an mir vorbeiziehen lassen: Stunde für Stunde, Ort für Ort, Begegnung für Begegnung, ohne zu bewerten oder zu beurteilen. Alles, was sich zeigt, darf jetzt da sein.

  • Was hat mich überrascht?
  • Was erfüllte mich mit Freude und Energie? Gab es Höhepunkte?
  • Was ließ mich lachen?
  • Was hat mich berührt?
  • Was ist nicht so gelungen?
  • Was bedauere ich?
  • Was ist unerfüllt geblieben?
  • Was hat weh getan?
  • Was ersehne ich?

Mich an Gott wenden

Mit dem, was jetzt in mir lebendig ist, wende ich mich an Gott und komme mit ihm ins Gespräch. Für das Schöne und Gelungene danke ich. Für das Schmerzliche, Versagen, Schuld bitte ich um Vergebung und Heilung. Ich kann ihm sagen, was vielleicht an Sorgen, Unruhe, Hoffnungen, Sehnsucht in mir ist.

Ausblick

Ich schaue einige Momente auf den morgigen Tag und auf das, was morgen auf mich zukommt. Ich bitte um Kraft, Zuversicht und Entschiedenheit, dass ich morgen so leben kann, wie ich es wirklich möchte.

Sr. Dr. Johanna Schulenburg CJ

 

Bildnachweis: S. 1 Chris Spencer-Payne auf pixabay.com; S. 2: die übriggebliebene Mauer des Tempels, die Klagemauer;  von stinne24 auf pixabay.com; S. 3: klimkin auf Pixabay.com; S. 4: S. Herrman & F. Richter auf pixabay.com

Der Text von Sr. Johanna ist einer Schrift der Erzdiözese Wien entnommen: „Spuren Gottes im eigenen Leben entdecken“. https://www.erzdioezese-wien.at/dl/puKlJKJLMMMNJqx4KJK/aufmerksamkeite_online_pdf

 

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